Die Digitalisierung von Produktdaten gewinnt zunehmend an Bedeutung. Im Insight Madaster Interview erläutert Thorsten Hahn, CEO von Holcim Deutschland, welchen praktischen Nutzen die Erstellung von digitalen Produktdaten und EPDs für das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen hat.
Warum hat sich Holcim entschlossen, den Weg der Digitalisierung und Erstellung von EPDs zu gehen?
Thorsten Hahn: Holcim verfolgt den Weg der konsequenzen Transparenz – sei es durch EPDs für alle Zemente und Betone, CSC (Concrete Sustainability Council) Zertifizierungen für das gesamte Produktportfolio oder seit kurzem auch eine C2C (Cradle-to-Cradle) Zertifizierung für Carbonbeton-Elemente.
Im konkreten Fall von EPDs für Beton ist die Digitalisierung die einzige Option: Bei der Vielzahl der Beton-Rezepturen an den unterschiedlichen Standorten und der Dynamik der Rezepturentwicklung sind produkt- oder sogar projektspezifische EPDs nur mit einer individuell angepassten Software möglich.
Welche Herausforderungen gibt/gab es bei der Digitalisierung der Produktdaten?
Thorsten Hahn: Die große Anzahl der unterschiedlichen Daten, die für eine Material-Ökobilanz erforderlich sind, war schon eine Herausforderung. Hier musste unser Team einige unterschiedliche Datenbanken anzapfen, was oft nur manuell zu schaffen war. Deshalb ist die nächste Ausbaustufe unserer EPD-Software das Entwickeln automatisierter Datenschnittstellen zu den Holcim-Systemen.
Das gilt in ähnlicher Weise für den Madaster-Upload mit standardisierten Datentabellen. Auf Sicht werden unsere Kolleg:innen sich hier die Madaster-API anschauen.
Die Zusammenarbeit mit dem Institut für Bauen und Umwelt e.V. (IBU) zur Digitalisierung der EPD-Verifizierung war dabei hervorragend. Das war ein offener und sehr konstruktiver Entwicklungsprozess für das IBU, den vom IBU eingesetzten Independent Verifier und das Holcim-/Climate Earth-Team.
Inwiefern berücksichtigt das Geschäftsmodell von Holcim die Wiederverwendung der eigenen Produkte und welche Rolle spielt die Datenplattform Madaster dabei?
Thorsten Hahn: Bei Holcim steht der Kreislaufgedanke im Mittelpunkt unseres Handelns und ist Teil unserer “Netto-Null”-Reise. Dazu braucht es mehrere Ansätze: Um aus wertvollen Abbruchmaterialien wieder hochwertige Baustoffe werden, haben wir unsere eigene Kreislauftechnologie-Plattform ECOCycle auf den Markt gebracht, die eine effiziente Logistik, Trennung, Zerkleinerung und Aufbereitung ermöglicht. Baustoffdatenbanken wie Madaster sind allerdings die Voraussetzung dafür, dass solche Materialkreisläufe geschlossen werden können.
Zur Optimierung dieser Stoffströme ist auch die Digitalisierung entscheidend, die wir auf sehr unterschiedlichen Ebenen einführen. Hier kann Madaster eine Schlüsselrolle für die Datenhaltung und das Vorhalten von wertvollen Informationen für unsere zukünftigen Rohstoffquellen einnehmen.
Gibt es spezifische Herausforderungen bei der Datenaufbereitung in Hinblick auf die Kreislaufwirtschaft?
Thorsten Hahn: Wir sind noch am Anfang unserer Lernkurve – bei der qualifizierten Beschreibung von Recycling und Recyclinganteilen in Bauprodukten und -stoffen und auch deren Quantifizierung.
Die Vielzahl unterschiedlicher Formate für einen Gebäuderessourcenpass, von der EU bis zur DGNB, ist im Moment eher verwirrend als hilfreich.
Das drückt sich auch in einer gewissen Akzeptanzschwelle für Recyclingbeton aus. Obwohl gleichwertiges Betonrecycling für viele Anwendungen ohne Einschränkungen möglich und normativ geregelt ist, wird Recyclingbeton noch zu selten eingesetzt.
Das Holcim Engagement bei Madaster zielt nicht zuletzt darauf ab, das Bewusstsein für die Wiederverwendung und das Recycling von Beton im gesamten Bau- und Immobiliensektor zu verankern.
Welche Rolle spielen die Nutzer:innen von Produktdaten, seien es Bauherr:innen, Gebäudeeigentümer:innen oder Planer:innen beim Einsatz von Madaster-EPDs?
Thorsten Hahn: Wir wünschen uns, dass Gebäude-Ökobilanzen über den gesamten Lebenszyklus als Instrument für Entwurfsentscheidungen beim Bauen eingesetzt werden – der Immobiliensektor muss für den Klimaschutz auf verbindliche und einheitliche Kriterien setzen. Dabei werden die sogenannten grauen Emissionen einen immer größeren Anteil haben, sodass hier immer genauere und spezifische Produktdaten in Form von EPDs von den Projektteams eingefordert werden müssen.